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Wer kann die „Flüchtlingskrise bewältigen“?

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Mirek Vodslon, 11. März 2016

1. Die Arbeiterbewegung g muss eingreifen

Der ukrainische Krieg schwelt. Wucherer und Freibeuter (wie Schäuble, der Finanzminister von Deutschland, der beide Tätigkeitsbereiche des Finanzkapitals in Personalunion repräsentiert) verwüsten Griechenland. Beide Katastrophen vertiefen sich noch, ohne Aussicht auf eine Lösung. Schon macht die nächste „humanitäre Katastrophe“ die vorherigen vergessen: Millionen von Menschen können es nicht mehr zu Hause aushalten. Eine Million flüchtete schon in die Europäische Union, weitere Millionen werden folgen.

Die meisten wollen nach Deutschland, und dort wurden sie letztes Jahr von einer großen Solidaritätsbewegung der Lohnabhängigen empfangen. Die organisierte Arbeiterbewegung, das heißt vor allem Gewerkschaften, beteiligte sich daran aber als solche nur am Rande. Das muss sich ändern.

Bürgerliche Politiker, vor allem der CSU, der CDU und der AfD, so wie die bürgerliche Presse starteten schon im September dagegen eine ekelhafte Entsolidarisierungs-Kampagne mit der Forderung: die Kanzlerin muss eine Obergrenze für die Aufnahme der Flüchtlinge bestimmen.

Nähme man diese hetzerische Forderung ernst, bräuchte man ein Kriterium für diese Obergrenze. Das kleine Libanon hat 1,14 Million meistens syrische Flüchtlinge aufgenommen, 28% der Zahl der eigenen Staatsangehörigen. Für Deutschland, ein Land mit dem dreifachen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und einer viermal kleineren offiziellen Arbeitslosenquote, würde also die konservativ geschätzte „Obergrenze“ für die Aufnahme von Menschen in Not um die 20 Millionen betragen.

Die Zahl der Flüchtlinge kann aber nicht dort bestimmt werden, wo sie ankommen. Das können sich in ihrem bürokratischen Wahn nur bürgerliche Politiker wie Söder und Seehofer in Deutschland oder Faymann und Mikl-Leitner in Österreich vorstellen.

Die Zahl wird anderswo bestimmt: in den Kriegsgebieten und in anderen durch den Imperialismus verwüsteten Gebieten, nicht nur im Nahem Osten, in Afghanistan und in Nordafrika, sondern auch in Europa, wie in Bosnien und in Kosova. Der amerikanische und alle europäischen Imperialismen, Russland eingeschlossen, beteiligen sich an diesen Verwüstungen.

Um die Massen der Flüchtlinge bürokratisch fernzuhalten, sind drastische Maßnahmen erforderlich, die Abertausenden das Leben kosten werden und schon jetzt kosten. Z.B. werden Kriegsschiffe der NATO das Ägäische Meer „verteidigen“. Die für den Krieg gegen die Flüchtlinge zuständige deutsche Ministerin Frau von der Leyen hat versichert, dass „natürlich“ Menschen aus „kenternden Schlauchbooten“ gerettet werden. „Natürlich“ werden das nur die stärksten überstehen. Kinder werden wieder und wieder ertrinken. Das scheint diese reiche Mutter von sieben Kindern nicht zu stören. So sieht das „Europa der Werte“ des Kapitals und seiner Vertreter aus.

Bürgerliche Politiker werfen Flüchtlingen vor, dass sie in Europa ein „besseres Leben“ als zu Hause suchen und proklamieren im Ton der Entrüstung, dass sie kein Recht auf ein besseres Leben haben, als ein Leben im Elend und Unterdrückung. Das gilt im kapitalistischen System sowohl für Einheimische als auch für Zugewanderte.

Die Partei DIE LINKE hat Recht: nicht die Zahl der Flüchtlinge und anderer Bedürftigen muss begrenzt werden. Der Reichtum der Super-Reichen, der Kapitalisten, muss begrenzt werden. Ein menschenwürdiger Empfang und die Integration der Flüchtlinge müssen aus dieser Quelle bezahlt werden. Umverteilung des Reichtums von oben nach unten ist notwendig, um für die gesamte Arbeiterklasse, unabhängig von der Herkunft, gleiche Arbeits- und Lebensbedingungen zu ermöglichen und zwar solche, die die Reproduktion der Arbeitskraft garantieren, ohne Absenkung des Lebensstandards, ein Leben lang und auch für die nächste Generation.

Die Flüchtlinge werden benutzt, um die Arbeiterklasse zu spalten und die Schraube der Lohndrückerei und des Sozialabbaus weiter zu drehen. Pilotprojekte wurden schon gestartet, um hie und da junge Flüchtlinge zu schlechteren Bedingungen anzulernen, als einheimische Auszubildende. Die Bourgeoisie forderte schon, für Flüchtlinge in den ersten sechs Monaten ihrer Beschäftigung den schon mickrigen Mindestlohn auszusetzen. Die Repräsentanten der Konzerne wollten — mit ganz ernster Miene – diesen neuen Keil in die Arbeiterklasse im Namen der „Integration“ einrammen. Das scheiterte am Widerstand der Arbeiterbewegung, der im Veto der Regierungspartei SPD Ausdruck fand. Trotzdem sollen Flüchtlinge schlechter gestellt werden – jetzt aber „nur“ bei Praktika. Die Konzerne bestehen darauf.

Die Politik der deutschen Regierung wurde deutlich, als Schäuble eine europaweite Sonderabgabe auf Benzin zur „Bewältigung der Flüchtlingskrise“ vorschlug. Diese Spaltungspolitik und -propaganda wirken, allerdings nicht unbedingt zu Gunsten der Regierungsparteien. Das zeigt das Ergebnis der nationalistischen, rechtsradikalen Partei Alternative für Deutschland in Hessen, ihre Umfragewerte überall und die Erfolge solcher Parteien in anderen Ländern Europas. Nicht nur die Mittelschicht, auch die Arbeiterklasse und Arme befürchten, dass sie „für die Flüchtlinge“ werden draufzahlen müssen. Sie haben Recht, denn genau das ist der Plan der herrschenden Klasse, ihrer Regierung und ihrer gesamten Politiker-Kaste.

Als Regierungspartei ist die SPD mitverantwortlich dafür. Ihre Wählerschaft hat das quittiert, die Wahlergebnisse der SPD und ihre Umfragen fallen katastrophal. Darum, und weil der deutsche Staatshaushalt einen Überschuss aufweist, schlägt der SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Sigmar Gabriel ein „Solidaritätsprojekt für unsere eigene Bevölkerung“ vor. Es sollen mehr bezahlbarer Wohnraum und mehr Kita-Plätze entstehen. Die Renten sollen erhöht werden. Die Umsetzung dieser Vorschläge würde der Spaltung der Arbeiterklasse entgegenwirken. Darum müssen Arbeiterorganisationen sie bei der SPD konsequent einfordern.

Eine wirkliche Alternative zur bisherigen Regierungspolitik ist dieses „Solidaritätsprojekt für unsere eigene Bevölkerung“ nicht. Die Betonung auf der „eigenen Bevölkerung“ verrät die Denkweise der SPD-Führung. Sie entsolidarisiert absichtlich die „eigene Bevölkerung“ von der zugewanderten. Das Projekt soll offensichtlich aus den bestehenden Steuermitteln finanziert werden, es soll sich also um eine Umverteilung in der Klasse handeln.

Die Alternative ist, dass die Kapitalisten zahlen müssen. Ein großzügiges soziales Aufbauprogramm muss her. Ein solches Programm würde auch Hunderttausende Arbeitsplätze schaffen.

DIE LINKE ist offensichtlich zu schwach, um diese Alternative – als ein real zu erreichendes Ziel – zu repräsentieren. Ihr fehlt die Kraft der organisierten Arbeiterbewegung, vor allem der Gewerkschaften. Sie bietet sich zwar hie und da als ihr politischer Arm an, sie ist es aber nicht, oder noch nicht. Vor allem ist eine solche Alternative nur als Teil eines Programms der Überwindung der Herrschaft der Bourgeoisie glaubwürdig. Nicht bloß als ferne sozialistische Zukunftsmusik, die man leise vor sich summt, um weniger Angst zu haben, sondern als die Lösung für heute.

Die Arbeiterbewegung, vor allem die Gewerkschaften aller Länder Europas, kann sich nicht mehr den Luxus leisten, so zu tun, als wäre die Flüchtlings-Krise das Problem von jemandem anderen: der Regierungen, der „Politik“. Energisches Eingreifen ist absolut notwendig. Im eigenen Interesse, um die Einheit der Arbeiterklasse zu verteidigen oder vielmehr wiederherzustellen.

2. Für das Asylrecht kämpfen

Nach den sexuellen Übergriffen der Sylvesternacht, vor allem in Köln, wurde gefordert, dass die Autoren solcher Straftaten in ihre Länder zurückgeschickt werden. Die Boulevardpresse und rechte Politiker bemühten sich, eine Welle des Misstrauens und sogar des Hasses gegenüber Flüchtlingen, Muslimen, Arabern usw. aufzupeitschen. (Mit bemerkenswert schwachen Resultaten, auch bei den unmittelbaren Opfern der Angriffe.)

So lange es Staaten geben wird, werden diese auch das Recht haben, die Leute auszuwählen, die sich auf ihrem Territorium aufhalten dürfen. Ganze Kategorien sind jedoch aus diesem Recht ausgenommen, wie die eigenen „Staatsangehörigen“ und „Konventionsflüchtlinge“, d.h. gemäß der Genfer Konvention anerkannte Flüchtlinge vor politischer Verfolgung und Krieg. Alle Staaten, die entsprechende Konventionen unterschrieben haben, haben damit die „Auswahl“ für diese Kategorien ein für allemal getroffen: sie haben das Aufenthaltsrecht.

Dagegen „offene Grenzen“ zu fordern hieße die Abschaffung des Staates zu fordern. In anderen Worten, übergangslos den Kommunismus zu fordern. Im Schengen-Raum waren die Grenzen offen, sie waren es aber eben nur, weil sich die EU gut überwachte äußere Grenzen zulegte („Festung Europa“), und damit so tat, als wäre sie ein Staat. Aus demselben Grund kann man theoretisch gar nicht gegen „alle Abschiebungen“ sein.

Die Arbeiterbewegung kann und muss aber den Anspruch anmelden, zu kontrollieren, welchen Ausländern das Asyl oder das Aufenthaltsrecht verweigert wird, und warum. Vor allem muss sie verhindern, dass irgendjemand, egal ob Flüchtling oder Verbrecher oder beides, in die Hände von Folterknechten und Henkern abgeschoben wird. In allen so genannten „sicheren“ Herkunftsstaaten in Nord-Afrika, mit denen Thomas de Maizière, der deutsche Innenminister, gerade die Wiederaufnahme der abgeschobenen Flüchtlinge vereinbart hat, wird unter Aufsicht des Staates oder mit seiner Billigung gefoltert und gemordet. So auch im Nahen Osten und in Zentralasien.

Praktisch wurde das Recht auf Asyl Anfang der neunziger Jahre weitgehend abgeschafft. Die Konventionen werden nicht mehr eingehalten. Flüchtlinge werden nicht als solche anerkannt. Flüchtlingen werden alle Wege nach Europa versperrt, damit sie nur unter Gefahr für Leib und Leben einreisen können. Länder am südlichen Rand der EU, wie Griechenland, sind schon lange die Opfer dieser „Union“. Jetzt werden sie auch zu ihren Flüchtlingslagern umfunktioniert. EU-Verordnungen, wie Dublin III, machen sie zu Wächtern der Grenzen der EU im Krieg gegen die Flüchtlinge.

Flüchtlinge wurden bereits in den Tod abgeschoben und das wird ihnen auch weiterhin passieren. Französische „Sozialisten“ haben gerade um den Preis eines Zerwürfnisses in der eigenen Partei und Regierung sogar die Staatsangehörigkeit unsicher gemacht.

Nicht aus abstraktem Prinzip, sondern wegen dieser konkreten barbarischen Umstände entlang der Fluchtrouten und an beiden Enden des Leidenswegs der Flüchtlinge muss die Arbeiterbewegung gegen alle Abschiebungen sein und die Abschiebe-Verhinderungsbewegung unterstützen.

Die Arbeiterbewegung muss für das Recht auf Asyl kämpfen und die noch existierenden Reste davon verteidigen. Das volle Asylrecht, gemäß Genfer Konvention, muss wiederhergestellt werden. Das bedeutet insbesondere, dass die ungeheure Heuchelei, mit der alle Staaten auf dem Balkan und die drei des West-Maghreb zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt wurden, sofort rückgängig gemacht werden muss.

Im Gegenteil, die „Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“ muss bei Flüchtlingen aus diesen Ländern als „begründet“ angesehen werden, sofern nicht das Gegenteil bewiesen werden kann. Dublin III und alle anderen bürokratischen Hürden, um überhaupt einen Asylantrag stellen zu dürfen, müssen abgeschafft werden. Sie machen das „Asylrecht“ absichtlich zu einer Farce.

Generell will die Bourgeoisie Immigration nur dann erlauben, wenn die Ausbeutung der Migranten hilft, die Arbeiterklasse zu spalten, die Löhne nach unten zu drücken, Rechte aller Arbeiter zu untergraben usw. Die Entscheidung über Flüchtlingsstatus und Bleiberecht, d.h. oft über Leben und Tod, hat sie darum süffisanten Beamten übertragen, die meistens recht wenig über die Lage in den Ländern, aus denen Asylsuchende geflüchtet sind, wissen und wissen wollen.

Alle Erfahrungen zeigen, dass das Recht auf Asyl nur dann wirklich gewährleistet sein wird, wenn sich die Arbeiterbewegung selber dessen Anwendung annimmt.

Gewerkschaftsvertreter, Delegierte von Flüchtlings- und Migrantenorganisationen und Vertreter der lokalen Unterstützergruppen der „Willkommenskultur“ müssen Asylverfahren kontrollieren und sich daran beteiligen.

3. Asylrecht verbessern

Das Recht auf politisches Asyl, selbst in der relativ großzügigen Form, die in den 1970ern und 80ern üblich war, ist der heutigen Epoche der beschleunigten Verbreitung der Barbarei nicht gewachsen. Millionen flüchten nicht (nur) vor Verfolgung und Krieg, sondern (auch) vor Hunger, also aus einem „wirtschaftlichen“ Grund.

Vor einem Jahr haben sich z.B. 200 Arbeiter aus 4 Fabriken in Tusla (Bosnien) auf den Weg zur kroatischen Grenze begeben, um kollektiv auszuwandern. Siehe http://workersinternational.info/2015/01/bosnia-a-cauldron-ready-to-blow/ .

An dem Beispiel kann man die „Fluchtursachen“ der sogenannten „Wirtschaftsflüchtlinge“ aus dem „sicheren“ Balkan studieren. Nach eigener Einschätzung der Betroffenen: „Wir haben alle die gleichen sozialen Probleme und wir wollen fast alle abhauen. Vielleicht sollte das unsere neue Identität sein“. (http://www.tageswoche.ch/de/2015_13/international/683746/)

Auch bei der Massenflucht aus Syrien spielen der Hunger und die Ausweglosigkeit die entscheidende Rolle. Die Mehrheit der syrischen Flüchtlinge flüchtet bekanntlich zum zweiten Mal. Das erste Mal aus Syrien vor Krieg und Verfolgung, das zweite Mal aus dem Libanon, der Türkei und Jordanien aus „ökonomischen“ Gründen. Schon daran sieht man, dass die beiden Fluchtgründe nicht voneinander sauber zu trennen sind.

Die Arbeiterbewegung muss für ein großzügigeres Asylrecht kämpfen.

Den 200 bosnischen Arbeitern und allen anderen in bankrotten, halb-kolonialen Ländern kann die Arbeiterbewegung der reichen Länder nicht einfach antworten: bleibt, wo ihr seid und kämpft dort gegen die Verhältnisse (was viele schon gemacht haben, insb. in Bosnien), so wie wir es in unserem Land tun… sollten.

Die Antwort muss sein: Wir bekämpfen im Bündnis mit euch die „Fluchtursache“ Imperialismus, und so lange sie besteht, helfen wir auch denen, die flüchten, weil sie keinen anderen Ausweg mehr sehen.

Flüchtlinge, die in Europa bleiben, werden das „Angebot“ auf dem Markt der Arbeitskraft steigern. Die Bourgeoisie hat die Parole ausgegeben: „Das Boot ist voll“. Wahr ist daran, dass ihre Herrschaft alle, Eingeborene und Zugewanderte, in ein sehr enges Boot zwingt. In diesem Boot kann Produktion nur stattfinden, wenn sie Profit für Kapitalisten verspricht, und das wird immer schwieriger, weil der Kapitalismus ein sterbendes System ist, das seinen einzigen Sinn und Zweck, aus Menschen Profite auszupressen, immer weniger erfüllen kann. Ein wachsender Teil der Jugend hat darum jetzt schon keinen Platz im „Boot“. In Europa’s Süden sind es schon 50%, in Griechenland noch mehr.

Die EU hat in diesen Tagen beschlossen, Flüchtlinge im wahrsten Sinne über Bord zu werfen. Wer die kapitalistische Logik davon akzeptiert, macht es den Kapitalisten leichter, auch die „eigene“ Jugend im Meer der Armut und Hoffnungslosigkeit ertrinken zu lassen, was schon seit langem der Fall ist.

Die einzige Alternative ist, den Kampf für das Asylrecht und das Bleiberecht der Flüchtlinge mit der Forderung nach der Verteilung der verfügbaren Arbeit auf alle arbeitsfähige Hände zu verknüpfen, bei entsprechender Senkung der Arbeitszeit und ohne Lohnverlust.

In anderen Worten, der Kampf für das Asylrecht und das Bleiberecht hat nur als teil eines Plans Chancen auf Erfolg, eines Plans der Überwindung des kapitalistischen Europa und des Übergangs zu einem Europa der Arbeiterklasse.

4. Integration

Viele Immigranten früherer Jahrzehnte haben lange in Harmonie mit ihren „einheimischen“ Nachbarn und, noch wichtiger, mit ihren Arbeitskollegen, gelebt. Sie haben sich integriert. Das war aber kein Erfolg der staatlichen, repressiven „Integration“, welche die Bourgeoisie seit einigen Jahren bei den Migranten einfordert. Lange war es die offizielle Regierungspolitik, Integration zu verhindern. Die neuere bürgerliche, an die Immigranten gerichtete Forderung der „Integration“ wird überall hauptsächlich als ein heuchlerischer Vorwand benutzt, um Immigranten anzuprangern und zu isolieren. Das Gegenteil von Integration. Kinder und Enkel von früheren Immigranten sehen sich immer noch, oder wieder, massenhaft mit Diskriminierung konfrontiert. Migranten-Ghettos bilden sich. Die bürgerliche „Integration“ ist überall am Scheitern.

Viele neue Flüchtlinge und andere Migranten sind noch mit mittelalterlichen oder barbarischen Auffassungen beschwert, die in ihren rückständigen Herkunftsgebieten vielleicht üblich sind. Der schlimmste Ausdruck davon ist die sogenannte Scharia und insbesondere die Verachtung und Unterdrückung der Frau, die in diesen Gesetzen aus einer anderen Zeit kodifiziert ist. Einige Söhne und Enkel alter Migranten kehren in Europas Städten zu solchen Auffassungen zurück und versuchen sie umzusetzen. Die Arbeiterbewegung muss sich diesen Auswirkungen des verfaulenden Kapitalismus entgegenstellen. Leute, die an rückständigen Auffassungen festhalten müssen diese überwinden. Sie müssen fortschrittlichere Auffassungen und Sitten annehmen, wobei die heutige, westliche, bürgerliche Norm, so verlogen sie sein mag, als das Minimum dieses Fortschritts gelten muss.

Rückständige Schichten der Arbeiterklasse können auf das Niveau der heutigen bürgerlich-demokratischen Norm nur durch die Arbeiterklasse gehoben werden. Nur sie kann dabei auch die Rechte der ethnischen und religiösen Minderheiten garantieren. Die bürgerliche Klasse ist beider Aufgaben unfähig, sei es mittels der staatlichen „Integration“ in die sogenannte „Leitkultur“, sei es mittels der kleinbürgerlichen Desintegration, die sich als kulturelle Toleranz tarnt.

Insofern kann sich die Arbeiterbewegung nicht mit der Kritik der bürgerlichen Zwangs-“Integration“ begnügen. Sie muss die Integration selbst organisieren: Integration in die Arbeiterklasse, in ihre Kultur und vor allem in ihre Kämpfe und Organisationen.

In den Siebzigern bis Achtzigern haben uns türkische und arabische Migranten in Deutschland und Frankreich gezeigt, dass es geht. Natürlich ist das nicht vollständig gelungen und die internationale Niederlage der Arbeiterklasse von 1989-91 hat mit der Ghettobildung eine mächtige Rückwärtsbewegung ermöglicht.

Vor allem hat die Deindustrialisierung Europas die Lage der Arbeiterklasse verschlechtert. Die damalige Integration fand statt unter relativ geringer Arbeitslosigkeit und in großen Betrieben, wie in der Metallindustrie, mit Belegschaften von Zehntausenden. Diese objektiven Bedingungen der Integration in Europa sind im heutigen Stadium des Zerfalls des Kapitalismus deutlich geschwächt.

Um so notwendiger ist es, dass die Gewerkschaften ihre unzeitgemäßen unpolitischen Scheuklappen überwinden und sich der Integration mit der gebührenden Entschlossenheit und Energie annehmen.

5. Europäische Aufgaben

Es gibt Organisationen, wie das Rote Kreuz, die Menschen in Not helfen, weil es Menschen sind, und weil sie in Not sind. Sie organisieren die humanitäre Hilfe. Was soll aber eine humanitäre Katastrophe sein? Etwa eine menschenfreundliche Katastrophe? Natürlich nicht, es ist noch so ein Unwort des gedankenlosen bürgerlichen Newspeak, das nichts aussagt und etwas Wichtiges verschleiert.

Verschleiert wird die Tatsache, dass das alles beherrschende Bewegungsprinzip der heutigen Gesellschaft, das Streben der Kapitalisten nach Profit, immer größere Gebiete unseres Planeten für das menschliche Leben ungeeignet macht.

Diese kolossale Katastrophe ist es, die Millionen entwurzelt und nach Europa schickt. Angela Merkel, die deutsche „christlich-demokratische“ Kanzlerin und als solche die politische Ober-Beauftragte der kapitalistischen Konzerne und Banken, hat Recht: Europa als Ganzes hat die Aufgabe, die Flüchtlinge aufzunehmen, sie zu versorgen und zu integrieren. Die Mitgliedstaaten der EU, auf der nationalen Ebene, können diese Aufgabe nicht bewältigen. Merkel hat auch in diesem Recht: es müssen die Ursachen der Katastrophe „bekämpft“ werden.

Es stellt sich aber die Frage, welches Europa diese kapitalistische Katastrophe bewältigen kann.

Das kapitalistische Europa versagt auf der ganzen Linie bei der ersten Aufgabe. Getroffene Vereinbarungen über die „Verteilung“ der Flüchtlinge werden seit Monaten nicht erfüllt, ganz abgesehen davon, dass Menschen nicht „verteilt“ werden können, als ob sie Sachen wären. Statt sich zu einigen, wie Flüchtlinge aufzunehmen sind, wollen die reaktionären Regierungen der meisten EU-Mitgliedstaaten keine oder lächerlich wenige Flüchtlinge aufnehmen, oder nur „Christen“. An verschiedenen Grenzen wird der Krieg gegen die Flüchtlinge geführt, mit dem erklärten menschenfeindlichen Ziel, ihre jetzt schon verzweifelte Lage noch zu verschlechtern und sie so zur Umkehr zu zwingen. Der „Schengen-Raum“ der offenen Grenzen innerhalb Europa zerfällt an diesem Krieg.

Bei der zweiten Aufgabe sieht es nicht besser aus. Frieden in Syria und Irak ist nicht in Sicht. Aus gutem Grund, denn es handelt sich dort mehr und mehr offensichtlich um einen imperialistischen Krieg zwischen den USA, Russland und der EU (Frankreich und Deutschland) um Macht in der ganzen Region. Diese soll ihnen den Zugang zum Öl sichern.

Die türkische Bourgeoisie unter der politischen Führung ihres möchte-gern „Sultans“ Erdogan und seiner sogenannten „moderaten“ Islamisten ist eine der Kriegsparteien. Unter der Hand unterstützt sie den Islamischen Staat und andere islamische Milizen in ihrem Krieg gegen die Kurden. Sie führt offen Krieg gegen „ihre eigene“ kurdische Bevölkerung, gegen die Arbeiterbewegung, und sogar gegen rivalisierende bürgerliche islamische Strömungen. Die türkische Bourgeoisie schafft so neue Fluchtursachen und wird eine neue Fluchtwelle auslösen.

Die kapitalistische EU zerfällt an der Unfähigkeit ihrer nationalen Kapitalistenklassen, Menschen in Not auch nur minimal aufzunehmen. Angela Merkel hat nun ihren Schluss aus diesem Zerfall gezogen, dem sie als Oberhaupt dieser EU ohnmächtig vorsteht, und einen kompletten Kurswechsel beschlossen. Sie entschied sich, Erdogan um Beistand zu bitten, um den Zerfall dieser EU an der „Flüchtlingsfrage“ aufzuhalten.

Gerade dieses türkische Regime, das sich mehr und mehr in eine offene Diktatur verwandelt, soll nach den Vorstellungen von Angela Merkel und Thomas de Maizière die Aufgabe der Wächters über die Flüchtlinge aus Syrien und Irak übernehmen. Unter offen angekündigter Missachtung aller internationaler Konventionen sollen Flüchtlinge, die unter Einsatz des eigenes Lebens schon das europäische Ufer erreicht haben, wieder in die Hände eines Regimes ausgeliefert werden, das insgeheim mit denselben Milizen verbündet ist, vor denen sie geflüchtet sind.

Dieses Abkommen auf Kosten der Kurden und der irakischen und syrischen Flüchtlinge wird gerade mit der Türkei ausgehandelt, und Alexis Tsipras, der ehemals „linke“ Ministerpräsident Griechenlands macht sich zum Komplizen dieses Verbrechens.

Merkel und de Maizière mussten Erdogan als Belohnung in Aussicht stellen, sein autoritäres, mörderisches Regime als 29. Mitgliedstaat in der EU aufzunehmen. Erdogan verlangt als ersten Schritt den Visa-freien Zugang türkischer Bürger zur EU. Die Ironie dieses verzweifelten Deals ist, dass niemand seine genauen Konsequenzen abschätzen kann. CSU-Politiker warnen schon vor einer neuen, legalen Migrationswelle aus der Türkei. Nur eines ist sicher: diese Aktion wird den Zerfall der EU, den sie aufhalten soll, beschleunigen.

Oskar Lafontaine von der Partei „DIE LINKE“ hat gesagt: „Die Fluchtursache ist der Kapitalismus“. Weil das wirklich so ist, kann nur ein sozialistisches Europa der Arbeiterklasse die Folgen der Katastrophe auf diesem Kontinent bewältigen und im Bündnis mit den Arbeiterklassen im Nahen Osten, in Nordafrika und Zentralasien auf die Behebung der Fluchtursachen hinarbeiten.

Es kann aber nicht bei der Verkündung dieser Lehre aus den Ereignissen bleiben. Die Arbeiterbewegung Europas muss konkrete Schritte unternehmen, um ihre Lösung dieser Krise durchzusetzen. Eine Kooperation der europäischen Gewerkschaften in der Flüchtlingsfrage wäre ein kleiner Anfang dieses alternativen Europas der Arbeiterklasse. Der Europäische Gewerkschaftsbund muss eine internationale Konferenz zur Bewältigung der Flüchtlingskrise und ihrer Ursachen organisieren. An der Tagesordnung sind die dringenden Aufgaben der Aufnahme der Flüchtlinge, ihrer Integration in den Kampf der europäischen Arbeiterklasse, und die Entwicklung einer internationalen Strategie der Einheit dieser Klasse: sowohl Einheit der einheimischen Arbeiter und der Migranten, als auch Einheit der Arbeiter der verschiedenen Länder Europas gegen die Versuche, sie an der Flüchtlingsfrage gegeneinander auszuspielen.

Europäische Gewerkschaften sollten auch den ersten Schritt zur wirklichen Bekämpfung der Ursachen der Massenflucht nach Europa machen, angefangen mit den unmittelbaren Ursachen. Sie sollten Untersuchungskommissionen in die Flüchtlingslager in der Türkei, im Libanon, in Jordanien schicken, und in die Pufferzone auf syrischem Territorium südlich von Kilis, wo die Türkei Flüchtlinge aus dem zerstörten Aleppo unter Aufsicht von Islamisten und unter Ausschluss der internationalen Öffentlichkeit ihr Dasein fristen lässt. Ebenso muss schnell Licht auf die Zustände in Nordafrika geworfen werden.

Gegen das sich schon vollziehende internationale Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das Merkel und de Maizière mit Erdogan ausgeheckt haben, muss Widerstand organisiert werden. Als Allererstes ist nötig, dagegen deutlich Position zu beziehen.

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